Interviews

Stadtschloss Berlin Modell Treppenhaus Dransfeld Diskussion Berliner Schloss
Das Stadtschloss in Berlin Hirschgarten
10. Januar 2023 Broschüre Farbwelten Q4/2022

In Berlin gibt es eine erneute Debatte um das „Blaue Band“ am Berliner Stadtschloss. In Köpenick / Hirschgarten habe ich einen Künstler getroffen, der sich bereits vor der Fertigstellung der Kuppel mit dem Thema „Band“ beschäftigt hat. Im Atelier des Künstlers befindet sich an zentraler Stelle ein voluminöses (Wettbewerbs)Modell vom Treppenhaus über dem Portal V des Schlossneubaus. Ein kleines Stück Berlin, welches so nie realisiert wurde. Sein Name ist Lutz Dransfeld. Ich habe mit ihm über Farben, Berliner Geschichte und Botschaften auf Bändern gesprochen.

Herr Dransfeld, Sie haben im Jahr 2017 am Wettbewerb zur Innenraumgestaltung des Treppenhauses Portal V des Humboldt-Forums teilgenommen. Welche Beziehung hatten Sie damals zum Palast der Republik und zum historischen Schlossbau?

Zunächst eine Einordnung. Das Schlossgelände ist mit Sicherheit der empfindlichste Ort in diesem Land. Ein hochpolitisches Areal, welches sämtliche schmerzvollen Schnittpunkte in unserer Nachkriegsgeschichte aufzeigt. Hier kreuzen sich nicht nur Linien der Architekturgeschichte. Das Schlossgelände ist Zentrum von gebauten, gedachten und zerschlagenen Ideologien. Als Künstler habe ich natürlich den Abriss des Palastes der Republik als falsch empfunden. Hier wurde erneut ein Ort seiner Geschichte beraubt. Nun bin ich aber auch Architekt und als Solcher hatte ich verstanden, dass der DDR-Palast in der heutigen Zeit kaum noch wirtschaftlich sinnvoll zu betreiben war. Der riesige Saal der Volkskammer als Museum? Das hätte einfach nicht funktioniert. Ein entkernter und asbestsanierter Palast wäre zudem in jeder Form eine architektonische Karikatur geblieben. Zugleich war die Rekonstruktion der Schlossfassade auch für mich eine gefühlte Babelsberger Filmkulisse.
Als ich dann den Entwurf von Franco Stella gesehen hatte, war ich nicht wirklich fasziniert. Selbst der moderne Teil an der Spreeseite wollte mich damals nicht packen. Mir gefiel allerdings die neue Bezeichnung Humboldt-Forum. Ein Schlossneubau als Ort der Wissenschaft! Das hatte es so noch nicht gegeben. Als dann der Wettbewerb zur Gestaltung des Treppenhauses ausgelobt wurde, war für mich sofort klar, dass ich das Thema „Humboldt“ aufnehmen werde.

Die Schloss- und Palastgeschichte hatte also keinen Einfluss auf Ihren Entwurf?

So kann man das nicht sagen. Ich habe natürlich zu allen Details beider Paläste recherchiert. Die Bauten waren Machtzentren in Ihrer jeweiligen Zeit und signalisierten natürlich auch in der Ausführung Herrschaftsanspruch. Das historische blaue Band mit christlicher Botschaft an der Schlosskuppel war für mich Thema. Diesem Band wollte ich ein neues Band innerhalb des Hauses entgegensetzen. Ein Band der Wissenschaft, welches sich als Ellipse quer durch das Treppenhaus ziehen sollte – Edelstahl, hochglänzend – geprägt mit Begriffen der Humboldt’schen Arbeit. Übrigens gab es bereits damals in meinem Team heftige Diskussionen zur Farbgebung im Raum. Ich wollte dem Innenraum eine ozeanblaue Wandfarbe geben. Genau jenes Blau, welches für den preussischen Orden Pour Le Mérite* stand. Heute ist nur Kennern bekannt, dass der Pour Le Mérite eine eigene Klasse der Wissenschaft hatte. Alexander von Humboldt war Träger dieses Ordens. Für meine jungen Mitarbeiter war diese Farbanalogie bereits „zu viel Preussen“ und wir haben diese Idee durchaus lautstark und krachend verworfen.
Der finale Entwurf wurde dann sehr fein von einer Lichtkonstruktion in jenem „Pour Le Mérite-Blau“ getragen. Die Wände sollten ergänzend ein weiches Grau erhalten. Die geplante Lichtkonstruktion war komplett asymmetrisch konzipiert. Ein Hinweis darauf, dass wissenschaftliche Tätigkeit oftmals nicht so systematisch verläuft, wie sie später kommuniziert wird. Die Humboldt’sche Arbeit bewegte sich bekanntlich auf zahlreichen Ebenen gleichzeitig und punktuell war das wohl sehr chaotisch. In der Kunst und auch in der Wissenschaft gibt es den Zeitpunkt der richtigen Idee. Wir nennen das auch Inspiration. Dazwischen liegen falsche Wege und eine gewisse Menge an Chaos. Auch das verbindet mich mit den Humboldt-Brüdern.

Sie haben also damals Teile der kommenden Diskussion um das Band (vor)erkannt?

Ja und nein. Für mich als Wettbewerbsteilnehmer war der Kontext relevant. Das Kommunizieren der alten und neuen Elemente. Mich hat der Gedanke eines neuen Bandes innerhalb des Gebäudes getragen. Natürlich erheitert mich die aktuelle Diskussion. Eine große Zahl an Entscheidern hat sich damals für die originalgetreue Rekonstruktion der westlichen Schlossfassade entschieden. Dazu gehört die Kuppel und natürlich auch das blaue Band. Das jetzt geplante Überblenden der von unten kaum sichtbaren christlichen Botschaft auf dem Kuppelband ist wie die störende Kennzeichnung eines Buches mit dem Stempel „Mängelexemplar“. Mit Architektur sollte man so etwas einfach nicht machen. Im Grunde ist diese ganze Diskussion ja typisch für Berlin. Der damals frische Reichstag fand unzählige Kritiker. Raschdorff’s Kirchenbau wurde bereits bespöttelt, als der Lack auf den Domtüren noch nicht trocken war. Die DDR-Genossen wollten bekanntlich die gesamte Domruine schleifen lassen. Nach all den unzähligen Wirren ist es doch ein Wunder, dass wir das historische Ensemble am Lustgarten heute wieder betrachten dürfen. Wir sollten uns einfach darüber freuen.

Das neue Schloss gefällt Ihnen also heute?

Der Schlossneubau hat tatsächlich die historische Mitte geschlossen. Meine früheren Bedenken sind komplett erloschen. Franco Stella hat insgesamt eine wunderbare Arbeit abgeliefert. Ich bin froh, dass das Schloss heute so da steht, wie es steht. Ich bin auch froh, dass es bereits steht. Eine heutige Schlossbau-Diskussion würde wohl kein weiteres Schloss überleben (Dransfeld lacht laut). Es wird ja in der Kritik immer vergessen, dass hier keine alte Residenz neu auferstanden ist. Das neue Schloss ist im Inneren ein Ort des Lernens, ein Ort der Wissenschaft und ein Ort der Kultur. Welches Schloss in Europa zeigt denn im Erdgeschoss die sündhaft schwere Banktresor-Tür eines ehemaligen Techno-Clubs als Ausstellungsstück? Dieses XTC-durchtränkte Eisenmonster ist zudem perfekte Korrespondenz zum Bibelwort auf dem Kuppelband. Treffen hier nicht auch Welten aufeinander, die nur auf den ersten Blick different sind?

Ihr Wettbewerbsbeitrag wurde damals verworfen. Fühlen Sie sich mit Ihrer Arbeit im Angesicht der heutigen Diskussion bestätigt?

Das Verlieren von Wettbewerben gehört zum Alltag des Gestalters. Verlieren ist auch das falsche Wort. Auf der Seite der Entscheider gibt es Stimmen, Interessen und manchmal auch kurzfristig veränderte Präferenzen. Damit muss man leben. Für mich ist jedes Projekt eine neue Reise. Ich tauche ein in den Baukörper. Ich suche nach Wurzeln und ich schaffe Antworten in Farbe und Form. Das Modell vom Stadtschloss-Treppenhaus hier bei mir im Atelier ist Erinnerung an eine intensive berufliche Reise vor einigen Jahren. Gewissermassen eine 3D-Postkarte meines Schaffens im Großformat. Mein Beruf ist von täglicher Leidenschaft geprägt. Am Ende des Tages steht ein fertiger Entwurf. Manchmal bleibt er reines Modell und mutiert zum Mittelpunkt für zahlreiche interessante Gespräche. Für mich ist das so ganz wunderbar. Auch, weil ich fühle, dass das nächste „blaue“ Band irgendwo da draussen auf mich wartet…

Dieses Interview erschien in der Broschüre Farbwelten Q4/2022
Autor: W. Schulz

*Anmerkung des Autors:
Der Orden Pour Le Mérite für Wissenschaften und Künste wurde durch Theodor Heuss im Jahr 1952 erneuert.
Er wird noch heute verliehen.