Interviews

Innendesign Klinik Krankenhaus öffentliche Einrichtung
DRANSFELD REVISITED - Ein Gespräch über Kunst & Farbe in modernen Klinikeinrichtungen
24. März 2025 Broschüre Farbwelten Q1/2025

Der Architekt und Künstler Lutz Dransfeld gehört mittlerweile zu den führenden Spezialisten in der künstlerischen (Farb)Ausstattung von öffentlichen Einrichtungen, Kliniken und Behörden. Im späten Januar 2025 habe ich ihn besucht, um mit ihm über seine aktuelle Arbeit für die neuen Salus Klinken (Psychosomatik) in Bad Nauheim zu sprechen.
Sein lichtdurchflutetes Atelier in Berlin Hirschgarten präsentiert sich in diesen Tagen als klar strukturierte Kreativfabrik im Hochbetrieb. Großformatige Motivträger, exakt gestapelt, warten auf den Abtransport. An den Wänden riesige Bauzeichnungen mit Farbmarkierungen und auf den Tischen unzählige handgefertigte Aquarell-Farbmuster in perfekter Sortierung und Ausrichtung. Daneben kleine Detailmodelle der künftigen Klinikflure. Der drahtige Designer erwartet mich bereits und serviert sofort frischen Kaffee an einem schneeweissen Arbeitstisch. Legen wir doch gleich los, sagt er.

Herr Dransfeld, wenn ich richtig informiert bin, dann ist das Projekt Bad Nauheim nicht Ihre erste Arbeit für eine medizinische Einrichtung. Was ist neu für Sie am aktuellen Projekt?

Das ist richtig. Unser Atelier hat bereits zahlreiche Klinik-Projekte realisiert u.a. in Hürth, Lindow, Siegen und auch eine Senioreneinrichtung in Attendorn. Die Aufgaben waren recht unterschiedlich. Begonnen bei der klassischen Ausstattung mit Einzelmotiven, über Foyer- und Warteraumgestaltung bis hin zur Kreation und Aufstellung von Skulpturen im Innen- und Aussenbereich. Auf der Website www.dransfeld.art finden Sie dazu zahlreiche Abbildungen. Bad Nauheim ist nun das größte Projekt, welches wir betreuen und ausstatten dürfen. In der ersten Phase liefern wir 420 Bildträger. Die Einzelzimmer der Patienten, wie auch die Empfangsbereiche, Flure, Behandlungsräume und Foyers werden von uns mit Motiven ausgestattet. Wir sind auch wieder in die Farbleitkonzeption eingebunden.
Neu für mein Team und mich ist die psychosomatische Ausrichtung der Einrichtung. Dies bedeutet im Detail, dass wir nicht nur die Corporate-Colors des Bauherren berücksichtigen müssen, sondern auch feinste farbpsychologische Aspekte. Somit stehen wir auch im ständigen Kontakt mit dem künftigen medizinischen Fachpersonal. Wussten Sie, dass z. Bsp. Demenzpatienten blaue Farbtöne mehrheitlich als unangenehm empfinden? Wir navigieren also im gesamten Objekt zwischen Farbleitplanung, Farbharmonie und Farbpsychologie. Das erfordert höchste Konzentration und ein „tiefes Eintauchen“ in das gesamte Haus.

„Tiefes Eintauchen“ ist eine interessante Beschreibung. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen? Wie läuft das ab? Wie ist die Vorbereitung für ein Projekt in dieser Größenordnung?

In der Regel baue ich ja ein grosses Tischmodell, um den gesamten Baukörper zu verstehen. Die Bauzeit am Modell ist ein fast esoterischer Prozess, der mir hilft jedes Detail am Objekt zu verstehen. In Bad Nauheim bin ich auf Grund der psychosomatischen Ausrichtung des Hauses einen ganz anderen Weg gegangen. Ich habe mich mit den finalen Bau- und Funktionsplänen für zwei Monate zurückgezogen, um mit Aquarellfarben eine Farbpalette für das gesamte Haus zu entwickeln. Im ersten Schritt sind zahlreiche Mischungen innerhalb einer Farbfamilie entstanden. Ich habe anschliessend mit ganz weichen Farbabstufungen gearbeitet. Immer wieder einzeln als Streifen auf Karton. Insgesamt sind rund 400 Farbmuster entstanden. Darunter einige Farbtöne, die auch für mich komplett neu waren. Die finalen Farbstreifen wurden dann immer wieder neu in einzelnen Gruppen kombiniert. Somit ist für jede künftige Station im Gebäude eine eigene Farbwelt in Aquarelltechnik (vor)entstanden. Das Haus hat zudem sehr lange Flure. Diese haben wir im Modell gefertigt und mit diversen Farbmustern zur Probe versehen. Die Baupläne des Hauses habe ich quasi Etage für Etage tief verinnerlicht. Wenn Sie mich heute nach dem Raum 516 fragen, dann kann ich ihnen sofort die finale „Aquarell-Farbgruppe 516“ präsentieren. „Tiefes Eintauchen“ bedeutet also das Objekt und seine künftige Nutzung bis in das letzte Detail zu erfassen und zu verstehen.

Sehr interessant. Es vermischt sich also die Arbeit des Künstlers mit der Denkweise eines Architekten?

Exakt. Als Architekt erfasse ich Raum, Geometrie und Funktion. Als Künstler entwerfe ich die farbliche Harmonie. Dazu kommt noch ein dritter Aspekt. Die Logistik. Bei einem Projekt dieser Größe ist Planung, Kunstproduktion und Ablauf in der finalen Montage / Hängung ein wichtiger Punkt. Als Kreativpartner sind wir in der Gebäudeausstattung ja ähnlich eingebunden, wie die technischen Dienstleister. Das erfordert bereits hier im Atelier eine punktgenaue Produktionsplanung und Ausführung. Mein Atelierpartner Götz Dähne ist Diplom-Ingenieur. Er hat speziell für das Projekt Bad-Nauheim eigene Hängesysteme für die Bildträger entworfen. Auch im Bereich der künstlerischen Lichtinstallationen hat er wieder großartige technische Arbeit geleistet. Er koordiniert auch die Bildträger-Massanfertigungen bei unseren Tischlereipartnern und natürlich die Transportlogistik. Das Atelier Dransfeld ist neben der Kreation ein sehr erfahrenes und eingespieltes Logistik-Team.

Gibt es so etwas wie Trends im Bereich der Klinikgestaltung?

Kliniken und öffentliche Einrichtungen sind Funktionsgebäude mit bestimmten Zielsetzungen und Aufgaben. Als Gestalter schaffe ich hier keine Wohnzimmer, die modischen bzw. saisonalen Interessen unterliegen. Mitarbeiter und Gäste sollen im Haus miteinander arbeiten und sich bei der gemeinsamen Arbeit wohlfühlen. Als Gestalter schaffe ich also positive Farbwelten, die Räume begrenzen und Orientierung im Haus geben. Die einzelnen Werke spiegeln zeitlose Horizonte, Elemente der Natur und organische Strukturen. Meine künstlerische Arbeit im Innenbereich ergänzt, begleitet und verbindet. Sie bezieht keine zeitliche Position und sie diskutiert auch nicht.
Ich kann aber berichten, dass sich tatsächlich etwas verändert hat. Vor ungefähr 15 Jahren habe ich ein wachsendes Bewusstsein zur künstlerischen Innenaustattung bei Bauherren / Auftraggebern gespürt. Das war damals eine Bewegung die seit den Neunziger Jahren ganz langsam aus den Vereinigten Staaten zu uns herüber schwappte. Dort hatte man längst erkannt, dass Arbeitswelten auch Lebenswelten sind. Heute spüre ich ein echtes Design,- und Farbinteresse – und dies nicht nur bei Bauherren. Stationspersonal und Klinikleitungen sprechen mich mitunter direkt an und möchten Ihre gestalterischen Gedanken mit einbringen. Auch die Patienten diskutieren im Haus über Farbgebung oder über die Werke in ihren Zimmern. Erst neulich habe ich ein Gespräch zwischen zwei Zimmernachbarn mithören dürfen, die sich über die Unterschiede der Werke in ihren Zimmern unterhalten haben. Unser aktuelles Jahrzehnt ist generell eine Zeit des Designs. Das spüren auch meine Kollegen aus verwandten Branchen.

Stichwort unsere aktuelle Zeit. Ist KI in Ihrer Arbeit ein Thema?

Gegenfrage: Wird jemals eine KI Ihnen Ihre Bilder aufhängen? Bleiben wir ernst. Ich habe ja schon berichtet, dass ich durchaus konservativ in meiner Arbeitsweise bin. Am Ende steht immer ein analoges Gebäude für reale Menschen. Das bedeutet nicht, dass ich für neue Technik nicht offen bin. Wir haben hier im Atelier zig Ipads und Rechner im Einsatz. Unser Webteam programmiert gerade ein auf uns zugeschnittenes Werksverzeichnis mit Motivdatenbank, welches in Kürze in das Backend unserer Website mit einziehen wird. Wir haben in diesem Interview viel über echte Farben, menschliche Bedürfnisse und über Wege in der Kreation gesprochen. Werden KI’s solche Prozesse in der Zukunft übernehmen können? Ich möchte das nicht beantworten. Im Fall unseres Ateliers könnte ich mir jedoch vorstellen, dass eine KI uns in der Logistik und Ablaufplanung unterstützt. Wir werden sehen… Ich möchte Ihnen eine Gegenfrage mit auf den Weg geben. Wäre ein Walter Gropius ein besserer Architekt gewesen, wenn er einen Computer gehabt hätte?

Sie sind seit langer Zeit im Beruf. Was würden Sie jungen Gestaltern heute raten?

Mein erster Ratschlag ist die Entfernung von Standard-Farbfächern aus dem täglichen Blickfeld (Grafikdesigner ausgenommen). Der Farbfächer ist ein Werkzeug zur Einordnung. Wer innerhalb von wenigen Minuten einordnet, der gestaltet nicht. Zwischen RAL 5001 und RAL 5002 liegt ein ganzer Ozean von farblichen Möglichkeiten. Diesen Ozean kann man nur erfassen, wenn man ihn selbst gesehen, gespürt und im Idealfall auch illustriert hat. Das erfordert mitunter Zeit, die sich aber in der gestalterischen Realisierung final auszahlt. Ich bin mir natürlich bewusst, dass es am Bau unveränderliche Standards in den Farbvorgaben gibt. Meine Aufgabe als Gestalter ist das Harmonisieren zwischen den Standards. Insofern wird kein Bildträger aus unserem Atelier die RAL-Farbe eines Treppengeländers tragen. Wir adaptieren, wir interpretieren und wir beziehen das natürliche Raumlicht mit ein. Echte Farbharmonie entsteht durch farbliche Abstufung zwischen den Elementen und durch das Setzen von Akzenten. Das Erzeugen von Gleichheit ist nicht Aufgabe des Farbgestalters in der Architektur.

Mein zweiter Ratschlag ist das geplante digitale Pausieren. Ich bin hier von einem recht jungen Kreativ-Team aus ganz unterschiedlichen Genres umgeben. Mit Sorge beobachte ich deren große Nähe zu den digitalen Plattformen. Der ständige Messen der eigenen Arbeit durch Klicks & Likes und das Vergleichen mit anderen Präsenzen führt manchmal zu dramatischen Selbstzweifeln. Bekanntlich ist der Selbstzweifel der größte Stolperstein in der kreativen Arbeit. Das Netz ist zudem voll von großartigen, perfekt präsentierten Arbeiten. Das birgt u.a. die teuflische Gefahr des Willens zur Kopie. Echte Inspiration kommt bekanntlich abstrakt und ungeplant. Ich lebe privat in einer Hofremise in Berlin Friedrichshagen. Dort gibt es kein TV, kein Internet und auch das Ipad verbleibt am Wochenende im Atelier. In der Remise umgibt mich eine private Bibliothek von rund 10.000 Bänden und ein Bett. Daheim finde ich absolute Ruhe und Ausgleich. Manchmal fällt dort das Licht auf einen roten oder grünen Buchrücken und eine Idee für den kommenden Ateliertag haucht mich buchstäblich an. Manchmal inspiriert mich die Farbgebung von einem ausgeblichenen Plakat am S-Bahnhof… Ich will damit sagen, dass das Internet der Feind der individuellen Inspiration ist. Macht Euch frei davon!

Herr Dransfeld, Sie werden in wenigen Monaten 70 Jahre alt. Was haben Sie noch vor?

(Dransfeld wirft den Kopf nach hinten und lacht laut.)
Das klingt ja gerade so, als würde ich bald aufhören müssen. Im Gegenteil. Ich bin kraftvoll wie nie zuvor in meinem Leben. Als Künstler führt man lebenslang einen inneren Kampf mit oder gegen den eigenen Anspruch. Jetzt, mit knapp 70, bin ich endlich angekommen. Ich bin auch fachlich dort, wo ich immer hin wollte. Ich bin frei von Zwängen und strotze vor Ideen. Auf mein wunderbares Team und mich warten bereits die nächsten Aufträge. Auch neue Ausstellungen sind in der Vorbereitung. Ich schaue also guten Mutes in die Zukunft und kann mir nicht vorstellen irgendwann in Rente zu gehen. Was sollte ich da auch machen? Netflix schauen? Nein. Kennen Sie den bekanntesten Ruf eines Bauleiters auf der Baustelle?

Was meinen Sie Herr Dransfeld?

Weiter machen!
…das ist seit über 40 Arbeitsjahren meine tägliche Devise.


Dieses Interview erschien in der Broschüre Farbwelten Q1/2025
Autor: W. Schulz